Schlaf ist essenziell für körperliche Gesundheit, geistige Leistungsfähigkeit und emotionale Stabilität. Doch für Millionen Menschen wird die Nacht regelmäßig zu einem Martyrium – mit langfristig ernsthaften Folgen für die Gesundheit.
von Wolf Weyergraf

Das Gehirn als Schlafmütze
Laut der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin klagen ungefähr 30 Prozent der Erwachsenen über Schlafstörungen. Rund zehn Prozent davon benötigen eine medizinische Betreuung. Dabei gelten 42 Stunden Schlaf pro Woche bereits als Schlafmangel. Können Betroffene über einen Monat lang mindestens dreimal zwischen Montag und Sonntag schlecht einoder durchschlafen, spricht man von einer Insomnie. Die Folgen sind erheblich. Insomniker sind einer bis zu 30 Prozent höheren Gefahr ausgesetzt, Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu erleiden. Unterschreitet jemand dauerhaft die Grenze von fünf Stunden Schlaf pro Nacht, hat er zudem ein signifikantes Risiko für chronische Erkrankungen und eine Multimorbidität. Ähnliches gilt hinsichtlich kognitiver Probleme. So stellten finnische Schlafmediziner der Universität Helsinki anhand einer Studie mit knapp 4000 Probanden fest, dass sich die Gehirnfunktionen im Laufe der anschließenden 15 Jahre umso schlechter entwickeln, je länger die Schlaflosigkeit anhält. Gründe dafür nennt sie nicht. Aber frühere Forschungsarbeiten weisen darauf hin, dass der Schlaf wie eine Art Müllabfuhr in unserem Gehirn wirkt – ein erhöhter Lymphfluss sorgt dafür, dass Stoffwechselprodukte abtransportiert werden. Dieser Vorgang schafft unter anderem die Voraussetzung dafür, dass Gedächtnisinhalte konsolidiert werden können.
Kaskade an Problemen
Ein Klassiker unter den Folgeschäden ist das Übergewicht. Nach durchwachten Nächten befällt viele Menschen Heißhunger, vor allem auf Süßes und Deftiges. Der Grund: Ein müdes Gehirn giert eher nach Belohnungen, die unvernünftige Snacks ihm liefern. Chronisch mangelhafte Schläfer entwickeln zudem leicht eine Zuckerstoffwechselstörung mit der Folge eines Diabetes Mellitus, der den Schlaf seinerseits behindert. Ohne Schlaf leidet darüber hinaus unser Immunsystem, das nachts besonders aktiv ist. Es profitiert von diesem Zustand wie die Haut, die sich dann regeneriert und neue Hautzellen bildet. Ähnlich sensibel antwortet auch unser Schmerzempfinden auf Schlafmangel: Die Haut reagiert dann zum Beispiel ungleich stärker auf Temperaturreize. Die Ursachen für eine Schlafstörung können nicht nur in unregelmäßigen Arbeitszeiten oder depressiven Verstimmungen liegen. Auch körperliche Gründe spielen eine Rolle. Neben Diabetes kommen dafür etwa Asthma oder eine Schilddrüsen-Fehlfunktion infrage. Bei mehr als der Hälfte aller Frauen wirken sich außerdem die Wechseljahre aus – mit unruhigem Wälzen, Nachtschweiß und bleierner Müdigkeit am Tag.
Was ist der Schlaf? Ein Hineinkriechen des Menschen in sich selbst, meinte vor 200 Jahren ein Dramatiker. Tatsächlich kommt uns das Phänomen immer noch ziemlich rätselhaft vor: Nach wie vor ist der Schlaf nicht gänzlich erforscht. Das macht ihn aus medizinischer Sicht spannend. Schlafgestörte dagegen treibt das Ringen um die so wichtige Auszeit zur Verzweiflung. Da sind die Ein- und Durchschlafstörungen, das Schnarchen und die Schlafapnoe, das Grübeln, Schwitzen und Herzrasen oder das kribbelige Restless-Legs-Syndrom, bei dem die Beine in einem Ameisenhügel zu stecken scheinen. Das Fatale: Während wir in Ernährungs- oder Bewegungsdingen mit unserem Willen einiges bewirken können, verweigert sich der Schlaf solchen Ansinnen – je mehr wir ihn erzwingen wollen, desto weniger stellt er sich ein.
Bis zur Industrialisierung hatten die Menschen im Schnitt noch elf Stunden geschlafen. Dann haben sie der Leistungsdruck und das Wegbrechen von Routinen aus ihrem angestammten Tag-Nacht-Rhythmus gebracht. Heute sind es insbesondere die Digitalisierung und die nimmermüden Aufmerksamkeitserpresser der Sozialen Medien, die den Schlaf unter Druck setzen. Und das nicht nur wegen all der turbulenten Inhalte. Schon das blaue Bildschirmlicht ist schlecht: Es unterdrückt die Bildung des Schlafhormons Melatonin.
Unterschätzte Gefahr
Frauen ab der Menopause plagt oft eine weitere, meist unterschätzte Schlafmalaise: das Schnarchen. Durch die hormonelle Umstellung erschlafft nämlich auch bei ihnen das Rachengewebe, das für das Problem mitverantwortlich ist. Männer beginnen schon zehn Jahre früher zu sägen. Beide gefährden damit ihre Gesundheit. Untersuchungen im Schlaflabor zeigen, dass Schnarchen die Schlafqualität stark mindert. Besonders gefährlich ist die Schlafapnoe: Atemaussetzer in der Nacht, die den Blutdruck in die Höhe jagen, was zu einer Atherosklerose und schließlich auch zu einem Herzinfarkt führen kann. Für Betroffene sind Hilfsmittel wie eine spezielle Schiene dringend zu empfehlen, mit der sich die Verengung im Rachenraum beseitigen lässt. Und was ist sonst zu tun, um Schlafschwierigkeiten in den Griff zu bekommen? Sind Vorerkrankungen, das Restless-Legs-Syndrom oder Schnarchen ausgeschlossen, verweisen viele Mediziner auf die Restruktionstherapie. Sie zielt darauf ab, einen hohen Schlafdruck aufzubauen: Patienten gehen später zu Bett und stehen früher auf. Die im Bett verbrachte Zeit – mindestens sechs Stunden – soll sich so der tatsächlichen geschlafenen anpassen. Entspannungstechniken wie Meditation sind ein weiterer Ansatz. Auch Schlafmittel modernen Typs können ein Segen sein, kommen aber wegen der Gefahr einer Abhängigkeit nur nach ärztlicher Rücksprache infrage. Eine kognitive Verhaltenstherapie ist da ungleich ratsamer. In jedem Fall sollte man nachts nie auf die Uhr sehen. Das macht bloß Druck und verkennt eine lakonische Einsicht der Antike: »Gut schläft, wer gar nicht merkt, dass er schlecht schläft.
