In die Jahre kommen, ohne zu vergreisen – das ist längst keine Utopie mehr, sondern eine realistische Chance. »Anti-Aging« heißt das Zauberwort: Mit den drei großen L »Lernen, Laufen, Lieben« hat jeder es selbst in der Hand, in den Jungbrunnen einzutauchen, den der Mensch von Natur aus in sich trägt.
Wer in Deutschland heute als Mädchen zur Welt kommt, darf sich Hoffnung auf 88,5 Lebensjahre machen. Für männliche Neugeborene beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung fünf Jahre weniger, errechnete das Statistische Bundesamt. Trotzdem ist damit beiden Geschlechtern die Aussicht auf ein höheres Alter in die Wiege gelegt als jemals zuvor. Männer zum Beispiel, die wie der Autor dieses Textes 1965 geboren wurden, sehen nicht gut 83, sondern lediglich 77 Jahren entgegen.
1871, als das deutsche Kaiserreich gegründet wurde, starben Männer im Schnitt bereits mit 35,6 Jahren, Frauen mit 38,5 Jahren. Ein statistischer Mittelwert, versteht sich, schon damals gab es Hochbetagte. Deren Zahl war aber verschwindend gering, mit dem Anstieg der Lebenserwartung hat sie deutlich zugenommen. Immer mehr Bundesbürger durchbrechen die Schallmauer von 100 Jahren, ihre Zahl hat sich während der letzten 30 Jahre sogar verzehnfacht und ist auf aktuell über 13.000 Personen angewachsen. Der Bundespräsident ist mittlerweile dazu übergegangen, erst vom 105. Geburtstag an Glückwunschschreiben zu verschicken, er käme sonst zu nicht mehr viel anderem … Nicht unwahrscheinlich, dass nach Ablauf der nächsten 60, 70 Jahre jeder, der dann geboren wird, die Chance auf die magischen 100 hat, meinen Bevölkerungswissenschaftler am Max-Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock. Eine Obergrenze bei der Lebenserwartung sei jedenfalls nicht in Sicht.
Ewiges Leben oder ewige Jugend?
Aussagen über die fernere Zukunft zu treffen, wirkt immer ein wenig wie Kaffeesatzleserei. Selbst als realistisch geltende Prognosen werden später nicht selten von der Wirklichkeit widerlegt. Manchmal sollen Visionen nachhelfen: Aubrey de Grey, ein in Cambridge lehrender Bioinformatiker, hält es für möglich, Methusalem in den Schatten zu stellen, der laut Bibel 969 Jahre alt wurde, und die Lebenszeit des Menschen auf unglaubliche 5.000 Jahre auszudehnen. Das kommt dem Traum vom ewigen Leben sehr nah, der sich jedoch als Albtraum entpuppt, wenn nicht auch ewige Jugend damit verbunden ist. Mit Aussicht auf Greisentum und Gebrechen will niemand uralt werden, nicht den Zugewinn an Jahren mit chronischer Krankheit und langem Siechtum bezahlen. »Ohne Gesundheit ist alles nichts«, meinte treffend der Philosoph Arthur Schopenhauer. Länger zu leben hat nur seinen Reiz, wenn man auch länger gesund bleibt – also später altert.
Nun gibt es ewige Jugend nur im Märchen. Visionäre sind deshalb auf die Vorstellung angewiesen, die Welt stecke voller unausgeschöpfter Möglichkeiten, die Wissenschaftler zu verwirklichen hätten. Der Forschung wird entsprechend zugetraut, die Gesetze des Alterns zu durchschauen und in absehbarer Zeit in der Lage zu sein, sie auszubremsen. Fortschrittsglaube allein kann bekanntlich keine Berge versetzen. Was also ist dran an der Hoffnung, das Altern besiegen zu können?
Jungbrunnen Stammzellen
»Das Geheimnis, wie und warum wir altern, haben Biologie und Medizin bereits weitgehend gelüftet«, sagt Prof. em. DDr. Johannes Huber, Gynäkologe und Altersmediziner aus Wien. Sind die Wissenschaftler dabei auch auf einen Jungbrunnen gestoßen, der als Altersbremse taugt? Huber bejaht – und lotet für Lebensart Med die Möglichkeiten der Anti-Aging-Medizin aus. Doch der Reihe nach: »Der Mensch altert nicht wie ein Auto, das sehr lange fährt und an dem von Zeit zu Zeit einzelne Teile erneuert werden müssen, bis es schließlich endgültig den Geist aufgibt«, stellt der Experte klar. »Nein, unser Organismus fährt quasi täglich in die Garage, erneuert beständig seine Zellen und repariert sich auf diese Weise permanent selbst.« Zu diesem Zweck bedient sich der Körper sogenannter Stammzellen, von denen in Rückenmark, Herz, Leber und anderen Organen Depots angelegt sind. Stammzellen werden auch als Vorläuferzellen bezeichnet, denn sie befinden sich in einer Art Urzustand. Sie sind noch unausgereift, besitzen aber das Potenzial, sich in exakt jenen Zelltyp weiterzuentwickeln, der für Reparaturzwecke gerade benötigt wird – ein permanenter Jungbrunnen. Aber wenn der Organismus imstande ist, sich fortwährend zu erneuern, wie kommt es dann trotzdem dazu, dass er altert? Dafür gibt es mehrere Gründe:
- Aktiviert werden die Stammzellen durch Reparaturgene. Diese schaltet der Körper in der zweiten Lebenshälfte sukzessive ab, entsprechend lässt der Nachschub aus den Stammzelldepots nach. Ob Gene arbeiten oder nicht, hängt von ihrer Verpackung, dem sogenannten epigenetischen Code, ab. »Eine Art Ghostwriting des Lebens mittels chemischer ‚Buchstaben‘, erläutert Huber. »Gene, die nicht arbeiten sollen, werden ruhiggestellt, indem sich ein Kohlenstoffatom und drei Wasserstoffatome, eine sogenannte Methylgruppe, an ihre Verpackung heften.« Setzt dieser Vorgang, Methylierung genannt, sich fort und legt immer mehr Gene im Zellkern lahm, beginnt die betroffene Zelle zu vergreisen: Sie gerät in einen Mangelzustand und büßt bestimmte Funktionen ein, hört z. B. auf, sich zu teilen. Die Fähigkeit dazu geht ohnehin irgendwann verloren, so, als hörte eine biologische Uhr auf zu ticken. Denn mit jeder Zellteilung werden die Ordnungshüter des Erbguts, die sogenannten Telomere, ein Stückchen kürzer. Sind sie aufgebraucht, ist das Teilungspotenzial der Zelle erschöpft, an sein natürliches Limit gelangt. Dies also ist eine Ursache des Alterns: Je kürzer die Telomere, desto kürzer auch die Lebensdauer der Zelle – und umso rapider der körperliche Verfall.
- Der Alterungsprozess sucht neben dem Zellkern auch die Kraftwerke der Zelle, die Mitochondrien, heim. Diese werden undicht, sobald die erwähnten Reparaturgene ihre Arbeit eingestellt haben. Der Zellakku verliert Energie und leert sich auch faktisch: Durch die porösen Wände entweichen ungepaarte Elektronen, die äußerst bindungsfreudig sind. Es handelt sich um die berüchtigten freien Radikale, die Vitalstrukturen der Zelle schädigen. Von dem Zerstörungswerk betroffen sind auch die Mitochondrien selbst. »Ein Teufelskreis: Je mehr freie Radikale die Mitochondrien schädigen, desto mehr freie Radikale setzen die Mitochondrien frei«, erläutert Huber. Normalerweise wird jede Zelle mit den Angreifern fertig. Sind aber – eben aufgrund veränderter Genverpackung – die für die Radikalen-Entsorgung zuständigen Gene inaktiv, kann ihnen nichts mehr Einhalt gebieten.
»In der Summe ergeben der zurückgehende Nachschub an jugendlichen Stammzellen und das Abflauen der Zellteilung jenen Prozess, den wir Altern nennen«, fasst Huber zusammen. Äußere Einflüsse begünstigen und beschleunigen diesen Vorgang, insbesondere Stress, Nikotin, Alkohol und Überernährung.
Die Schlussfolgerungen für die Anti-Aging-Medizin liegen auf der Hand: Es gilt, abgeschaltete Reparaturgene wieder einzuschalten und auf diese Weise auch Stammzellen zu reaktivieren, damit der Körper regenerieren kann, altes Zellmaterial durch jugendliches ersetzt wird. »Der Feind der Jugend ist lediglich das alternde Kleid, in das unser Erbgut gehüllt ist. Wird das Kleid gewechselt, spulen all jene Prozesse zurück auf Anfang, die Ausdruck der Zellalterung sind«, unterstreicht Huber. Es geht mit anderen Worten darum, die Methylierung der Genverpackung zu beseitigen, um die Gene aus ihrem Dornröschenschlaf zu wecken, durch den sie kein Deut gealtert sind. Hinzu kommt die Suche nach Stoffen, die freie Radikale unschädlich machen, ihrem Zerstörungswerk Paroli bieten. Und es geht um Mittel und Wege, der Verkürzung der Telomere entgegenzuwirken, damit Zellen eine längere Lebensdauer beschieden ist.
Viele Ansätze für die Altersprävention also, aber auch vielversprechende? Bekanntlich ist es ein langer Weg, bis medizinische Grundlagenforschung beim kranken oder gesunden Menschen ankommt und er mal durch Therapie, mal durch Prävention von ihr profitiert. Steckt Anti-Aging also noch in den Kinderschuhen? Sind Maßnahmen, die dem Altern vorbeugen sollen, reine Zukunftsmusik?
Hilfe zur Selbsthilfe
»Um Altersprävention zu betreiben, muss weder eine neuartige Gentherapie abgewartet noch ein spezielles Hightechverfahren entwickelt werden«, versichert Huber. »Es stehen unspektakuläre, aber effektive Mittel zur Verfügung, die sich auf Zellebene auswirken.« Beispiel Zellteilung: Chronischer Stress beschleunigt den natürlichen Substanzverlust der Telomere, Wohlbefinden hingegen verlängert das Leben der Zellen. Mit ein Grund dafür, dass Nonnen und Mönche, die ein beschauliches Leben führen, oft ein hohes Alter erreichen. Nicht jeder muss deswegen gleich ins Kloster: Es gilt, zu einem Lebensstil zu finden, der Schluss macht mit dem ständigen Auspowern von Körper und Geist und Raum für Inseln der Ruhe und innere Einkehr schafft. Im Arbeitsalltag keine leichte Aufgabe, zum Glück gibt es weitere Altersbremsen, die Huber auf die einprägsame Formel »Lernen, Laufen, Lieben« bringt:
- Lernen: Geistige Betätigung ist ein Jungbrunnen für das Gehirn. Unser Denkorgan ähnelt in dieser Hinsicht einem Muskel, der zulegt und auf der Höhe bleibt, indem man ihn kontinuierlich fordert. Huber rät dazu, täglich ein Gedicht auswendig zu lernen, viel zu lesen und sich auch noch jenseits der 50 auf ein Musikinstrument oder eine Fremdsprache einzulassen: »Solche Aktivitäten stimulieren und aktivieren Stammzellen des Gehirns, die als eine Art Pannenhilfe lädierte Hirnzellen wieder in Schuss bringen oder sie ersetzen.« Eine Erklärung dafür, wieso Gedächtnistraining vor Demenz – bedeutet wörtlich: ohne Geist sein – schützen kann. Vorbeugend wirken überdies Ausdauersport und regelmäßiges Fasten (siehe Interview).
- Laufen: Wer Sport treibt, altert gesünder. Vorausgesetzt, es wird regelmäßig, aber nicht exzessiv trainiert. »Extremsport ist genauso schlecht wie gar kein Sport«, stellt Huber klar. Nicht »Auspowern« sondern »Ausdauer« lautet das Motto; ideal sind z. B. Radeln oder Walking, ergänzt durch leichtes Hanteltraining. Dreimal die Woche mindestens 45 Minuten so aktiv sein, dass man ins Schwitzen kommt, wirkt in vielerlei Hinsicht wie Medizin: Der Organismus baut dabei Schutzstoffe auf, die die erwähnten freien Radikale neutralisieren. Diese sind maßgeblich am Alterungsprozess beteiligt und werden mit der Entstehung u. a. von Prostatakrebs in Verbindung gebracht. Zudem sondern die Muskeln hormonähnliche Botenstoffe, sogenannte Myokine, ab, die Diabetes vorbeugen können. Gezieltes Kraft-Ausdauer-Training senkt hohen Blutdruck, der bekanntlich die Gefäße schädigt. Auch wer schon verkalkte und verengte Arterien hat, profitiert von moderatem Ausdauersport, denn dieser aktiviert Stammzellen und bewirkt, dass im Herzmuskel neue Blutgefäße sprießen – eine Art natürlicher Bypass entsteht. Sogar im Gehirn wirkt Sport als Altersbremse, verbessert die Durchblutung und fördert die Regeneration. Stammzellen aus dem Rückenmark können nämlich die Blut-Hirn-Schranke überwinden und verwandeln sich im Kopf dann in Nervenzellen. Eine Verjüngungskur, die das Demenzrisiko deutlich vermindert.
- Lieben: Dass seelisches Leid das Herz brechen kann, ist eine Spruchweisheit, die ins Schwarze trifft. Denn das Herz ist nicht schlicht eine mechanische Pumpe, vielmehr ein Sensorium für Emotionen, durch die es auch in organischer Hinsicht beeinflusst wird. Zum Glück nicht nur im Schlechten (Stichwort: Depressionen), sondern auch im Guten: Sonnige Gemüter, die Freundschaften pflegen, statt sich einzuigeln, den Dialog suchen, statt andere anzuschweigen, leben gesünder – und bewahren sich Jugendlichkeit auch in körperlicher Hinsicht. Hochgefühle, nicht zuletzt sexueller Natur, regen nämlich die Stammzellen im Herzen an. Dafür sorgt Oxytocin, ein Hormon, das beim Geschlechtsverkehr ins Blut abgegeben wird. »Öfter sexeln«, empfahl in diesem Zusammenhang die Bild-Zeitung.
Neben den drei großen L »Lernen, Laufen, Lieben« können Vitalstoffe aus der Ernährung mithelfen, das Rad des Alterns zurückzudrehen. Als regelrechtes »Zauberkraut« preist Huber den grünen Tee: »Er enthält den Naturstoff Epigallocatechingallat, der als Radikalenfänger bekannt ist. Wichtiger noch ist seine Eigenschaft, die Verpackung abgeschalteter Gene so zu verändern, dass der Organismus seine jugendliche Regenerationskraft zurückgewinnt. Meine Empfehlung: täglich zwei Tassen trinken oder Kapseln einnehmen!«
Fazit: Anti-Aging kann gelingen! Jeder hat es größtenteils selbst in der Hand, das Altern hinauszuzögern, länger gesund zu bleiben – und dadurch auch länger zu leben. Huber: »Das Zukunftsszenario einer vergreisten Gesellschaft halte ich für zu schwarz gemalt. Wahrscheinlicher ist, dass Altersprävention die Welt so verändert, dass wir künftig bei einem 70-Jährigen dreimal hinschauen müssen, um ihn nicht für 40 zu halten.«
Zum Weiterlesen
- Johannes Huber und Robert Buchacher: Das Ende des Alterns. Bahnbrechende medizinische Möglichkeiten der Verjüngung. Berlin: Econ 2005, 2. Aufl., 284 S.
- Johannes Huber, Christian Gruber und Doris Gruber: Länger leben mit den Weisheiten der Klöster. Uraltes Wissen, nach den neuesten Gesichtspunkten überprüft. Wien: Jentzsch 2004, 324 S.
- Bernd Kleine-Gunk und Markus Metka: Auf der Suche nach Unsterblichkeit. Die Geschichte der Anti-Aging-Medizin von der Antike bis heute. Wien: Brandstätter 2010, 163 S.