Wir betrachten sie als wichtigstes Sinnesorgan. Liebevoll sprechen wir vom Augenlicht, hüten die wertvollsten Schätze dem Augapfel gleich und betrachten sie als Tor zur Seele. Umso erschrockener reagieren wir, wenn sich der Blick trübt, Unschärfen auftreten oder bei unserem Kind ein Sehfehler diagnostiziert wird. Ob angeboren, alters- oder krankheitsbedingt, Augenleiden können jeden treffen. Aber es gibt auch eine beruhigende Nachricht: Die medizinische Forschung hat derart rasante Fortschritte gemacht, dass ein Knick in der Optik nicht mehr groß ins Auge fallen muss.
von Lars Albat
Das Auge im Fokus
Um die vielfältigen Korrekturmöglichkeiten der Augenmedizin zu verstehen, kommt man um eine Vergegenwärtigung der Anatomie und Funktionsweise des Sehorgans nicht umhin. Doch gottlob: So diffizil und komplex sich der Aufbau des Auges auch gestaltet, so simpel und schlichtweg genial funktioniert das Grundprinzip. Wie bei einer Kamera fällt das von einem Objekt reflektierte Licht durch die Pupille, um als Abbild auf der Netzhaut die für die Wahrnehmung von Farben, Bewegung, Helligkeit und Dunkelheit verantwortlichen Nervenzellen zu aktivieren.
Das Licht durchdringt dabei zunächst die glasklare und durch Tränenflüssigkeit feucht gehaltene Hornhaut. Je nach Lichtstärke regelt die Iris – auch Regenbogenhaut genannt – den Pupillendurchmesser. Fungiert die Iris dergestalt als Blende, so übernimmt die Linse die Funktion der Fokussierung. Durch den Ziliarmuskel kann sie ihre Form verändern, nahe wie ferne Gegenstände anvisieren. Die äußeren Augenmuskeln wiederum regulieren die Augapfelstellung, um das einfallende, vom fokussierten Objekt reflektierte Licht möglichst auf die Makula, den durch eine besonders hohe Dichte von Sehnervzellen schärfsten Punkt des Sehens auf der Netzhaut, zu bannen.
Schau mir in die Augen
Während die für die Farb-, Helligkeits-, Bewegungs- und Detailwahrnehmung verantwortlichen Zapfen, Stäbchen und Ganglienzellen des Sehnervs wie die gesamte Netzhaut evolutionsbedingt zum Gehirn gehören und dementsprechend bei einer Schädigung nicht regenerieren können, kann die Augenmedizin bei den Brechungsfehlern im »Objektivbereich« sehr wohl eingreifen. Das Gleiche gilt für anatomische Deformationen. Bekanntestes Beispiel: Basieren Kurz- wie Weitsichtigkeit zumeist auf einer schwerwiegenden, nicht reparablen Abweichung bei der Augenform (seltener auf zu starker/zu schwacher Lichtbrechung auf der Hornhaut), können entsprechend geschliffene Konkav- und Konvexlinsen derartige Fehlsichtigkeiten dennoch im »optischen Vorfeld« korrigieren.
Nicht viel anders verhält es sich bei der ungefähr ab dem fünfundvierzigsten Lebensjahr einsetzenden Alterssichtigkeit. Verliert die Augenlinse an Flexibilität, entstehen im Nah- wie Fernsichtbereich zunehmend Unschärfen, sprich: auch hier liegt der Brennpunkt nicht (mehr) auf der Netzhaut. Die Akkommodation der Augenlinse unterstützend gleichen in diesem Fall bifokale Linsen die Fehlsichtigkeit aus.
Sehen ohne was zu sehen
Statt »gegenständlicher« Sehhilfen werden heutzutage jedoch immer häufiger medizinische Korrekturen in Betracht gezogen. Allen voran: die Laser-in-situ-Keratomileusis, das kurz LASIK genannte Verfahren. Im Gegensatz zu den schmerzhafteren Oberflächenbehandlungen PRK, LASEK und Epi-LASIK wird hier durch einen sogenannten Flap innerhalb der Hornhaut Gewebe abgetragen und somit die Hornhautkrümmung verändert. Ein Vorgang, der eine entsprechende Dicke der Hornhaut bedingt und folglich nicht beliebig oft wiederholbar ist. Zudem gilt diese Methode als indiziert für eine Kurzsichtigkeit von bis zu – 10 Dioptrien, eine Weitsichtigkeit von bis zu + 4 Dioptrien sowie einen Astigmatismus (Stabsichtigkeit) von maximal 5 Dioptrien. Augenkrankheiten wie der Graue und der Grüne Star oder der Keratokonus sind ebenfalls strenge Kontraindikatoren. Faktoren, die möglicherweise für ein Linsenimplantat sprechen.
Die Phake Intraokularlinse (PIOL) bietet gegenüber der LASIK zum Beispiel den Vorteil, ohne Hornhautabtragung hohe refraktive Korrekturen zu erzielen (< – 20/> + 15 Dioptrien). Weiteres Plus: die Reversiblität der OP, da es sich um ein austauschbares Implantat und nicht um einen von der Beschaffenheit der Hornhaut und diese verändernden medizinischen Eingriff handelt. Anstelle der Augenlinse eingesetzte Intraokularlinsen (IOL) können sogar die Katarakt, jene Grauer Star genannte Linsentrübung, beseitigen beziehungsweise im Vorfeld verhindern. Allerdings gibt es bei sämtlichen Linsenimplantaten auch einen Nachteil, der im wahrsten Sinne des Wortes ins Auge springt: Die erhöhte Anfälligkeit gegenüber äußeren Einflüssen macht eine lebenslange Kontrolle durch den Augenarzt notwendig.
Früher Vogel
Weit diffiziler gestaltet sich die Behandlung des Glaukoms (Grüner Star), liegen dem langsamen Absterben der Nervenfasern doch eine Vielzahl von Augenkrankheiten zugrunde. Als gewichtigster Risikofaktor gilt ein zu hoher Augeninnendruck, der die Durchblutung des Sehnervs verschlechtert. Infolgedessen verengt sich das Gesichtsfeld. Es kommt zum Tunnelblick, der nicht zuletzt das Autofahren zu einer lebensgefährlichen Angelegenheit macht. Ob Offenwinkelglaukom, bei dem der Prozess meist schleichend verläuft, oder selteneres Engwinkelglaukom, das über einen schmerzhaften Anfall innerhalb kurzer Zeit zur Erblindung führen kann: In beiden Fällen sind Untersuchungen zur Früherkennung zwar angebracht, ärgerlicher Weise aber im Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen nicht verankert.
Bedenkt man, dass die Chancen, das Sehvermögen zu erhalten, mit dem Zeitpunkt der Früherkennung steigen, sind 16 bis 20 Euro für eine medizinische Voruntersuchung beim Facharzt beileibe nicht fehlinvestiert. Neben der Messung des Augeninnendrucks umfasst diese eine allgemeine augenärztliche Untersuchung, eine Feststellung der Hornhautdicke sowie eine Fotodokumentation des Augenhintergrunds. »Weiterführende Untersuchungen sind nur bei Glaukomverdacht oder bei einem manifestierten Schaden notwendig«, klärt der Initiativkreis zur Glaukomfrüherkennung e.V. auf. Übrigens: Die Spiegelung des Augenhintergrunds gestattet zusätzlich Rückschlüsse auf eine frühestmöglich zu behandelnde altersbedingte Makuladegeneration sowie mögliche Tumore auf Netz- oder Aderhaut.
Sehen will gelernt sein!?
Früh, früher, am frühesten agieren sogenannte Sehschulen oder -trainer, die bereits bei Sehschwächen im Kindesalter auf den Plan treten. Doch Obacht: Optische Brechungsfehler mit Augenmuskeltraining kurieren zu wollen, wie es zum Beispiel William Bates Anfang der 20er-Jahre des letzten Jahrhunderts propagierte, erscheint nicht nur der evidenzbasierten Medizin mehr als fraglich. Und: In Anbetracht der Tatsache, dass es sich hier nicht um geschützte Begriffe handelt, sei empfohlen, beim Anbieter auf eine staatlich anerkannte Ausbildung zum Orthoptisten zu achten. Diese fachmedizinische Berufsgruppe überlässt die Korrektur von Refraktionsfehlern im optischen System dem dafür zuständigen Augenarzt und konzentriert sich vielmehr auf die Prävention, Diagnostik, Therapie und Rehabilitation motorischer und sensorischer Sehschwächen und -störungen.
»Die wachsenden Anforderungen an das Sehen lassen […] die Zahl der Jugendlichen und Erwachsenen mit Sehstörungen beziehungsweise Beschwerden steigen, die zunächst einmal gar nicht dem Sehen zugeordnet werden. Beispiele hierfür sind Beschwerden bei der Bildschirmarbeit, Wahrnehmungsstörungen, Lese-Rechtschreibschwächen, Legasthenie«, wie der Berufsverband der Orthoptistinnen auf seiner Homepage informiert. Auch Lernstörungen und selbst vermeintlich schlichte Leiden wie ständige Kopfschmerzen und Nackenverspannungen können augenbedingt sein und möglicherweise durch »schulisches« Sehtraining behoben werden. Bisweilen will Sehen eben einfach gelernt sein, wie nicht zuletzt die häufig beschwerliche Umstellung auf die erste Gleitsichtbrille dokumentiert.