Bei Schmerzen im Kreuz sind Ganzheitsmediziner gefragt, die nicht allein dort behandeln, wo’s wehtut. Denn der Rücken reagiert sogar auf seelische Last sensibel – Operieren wäre hier fehl am Platz!
von Dr. Markus Weber
Für Millionen Bundesbürger sind sie eine Dauerstrapaze, ihretwegen werden hierzulande mehr Menschen frühverrentet als aufgrund eines kranken Herzens oder infolge psychischer Leiden. Die Rede ist von Erkrankungen des Bewegungsapparats, also von Muskeln, Skelett und Bindegewebe. Zu schaffen machen insbesondere Rückenschmerzen, auf die fast 60 Prozent aller Krankschreibungen zurückzuführen sind. Kein Wunder, dass ein so schlichter Titel wie »Mein Rückenbuch« es auf die Bestsellerliste schaffte. Verfasst hat es Prof. Dr. Dietrich Grönemeyer, der einen Mix aus Hightech und Naturheilkunde propagiert, um Rückenschmerzen zu Leibe zu rücken. Dahinter steht ein Konzept, das Schule gemacht hat: bei der Diagnostik klotzen, nicht kleckern, bei der Therapie nicht mit Kanonen auf Spatzen schießen – und überdies die Vorbeugung großschreiben, damit gesunde Zeitgenossen gar nicht erst Patienten werden.
Rückenbeschwerden können höchst unterschiedliche Ursachen haben, die von Muskelverspannung und Hexenschuss bis zum Wirbelsäulentumor reichen. Von daher ist es notwendig, dass Ärzte ganz genau hinschauen, wenn sie den Rücken untersuchen. Wird im Röntgenbild nichts Verdächtiges gefunden, sollte es damit nicht sein Bewenden haben. Das Verfahren bildet zwar Schäden an knöchernen Strukturen wie der Wirbelsäule ab, taugt aber nicht für Muskulatur und Bandscheiben, also die gallertartigen Stoßdämpfer zwischen den Wirbelkörpern. Hier sind Magnetresonanztomografie (MRT, auch Kernspin genannt) oder Computertomografie (CT) überlegen und genießen Vorrang. Allerdings besteht kein Grund, von vornherein jeden Rücken mit Kernspin zu »durchleuchten«, solange die Beschwerden keinen Anlass zu der Vermutung geben, dass eine lädierte Bandscheibe auf Rückenmarksnerven drückt. Vom MRT-Befund hätte ohnehin niemand etwas, der trotz nachgewiesenen Bandscheibenvorfalls gar keine Schmerzen hat.
Viele Rückenpatienten assoziieren ihre Pein vorschnell mit den Bandscheiben und dringen auf eine Operation. Auch wenn es heute schonende, minimal-invasive Methoden gibt (»Schlüsselloch-Chirurgie«, »Mikrotherapie«), sind gute Ärzte so lange zurückhaltend, wie der Befund nicht eindeutig ist. Sie bemühen sich um ein ganzheitliches Verständnis der Rückenbeschwerden, weil deren Wurzel ganz woanders liegen kann als dort, wo es wehtut. Das menschliche Gebiss ist eine mögliche Ursache: Zahnverlust, Fehlbiss und nächtliches Zähneknirschen bringen die gesamte Körperstatik aus der Balance. Es kommt zu Blockaden im Kieferbereich, die sich über die Wirbelsäule bis ins Becken fortsetzen können. Kopf-, Nacken- und Rückenschmerzen sind die Folge. Moderne Spezialdiagnostik spürt sämtliche Faktoren auf, die einem korrekt schließenden Biss im Wege stehen, nimmt insbesondere die Kaumuskeln und die Stellung der Kiefergelenke unter die Lupe. Erkenntnisse, die es Ärzten ermöglichen, Rückenschmerzen ursächlich zu behandeln, statt an Symptomen herumzudoktern.
Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt auch die Psyche: Seelische Anspannung kann sich körperlich als Muskelverspannung äußern, und eine Depression steigert die Schmerzwahrnehmung. Rückenpatienten sind deshalb gut beraten, mit sich selbst behutsam umzugehen, Stress abzubauen und Entspannungstechniken zu erlernen. »Ich darf als Arzt aber nicht den Fehler machen und den Patienten nach Hause schicken mit der Erklärung, alles sei psychisch«, stellt Professor Grönemeyer klar. Körperliche Faktoren sind nie außer Acht zu lassen, zumal fast immer Bewegungsmangel Rückenprobleme verursacht: Werden Rücken- und Bauchmuskeln nicht gefordert und bilden sich zurück, können sie die Wirbelsäule nicht mehr ausreichend stützen und entlasten. »Turne bis zur Urne«, lautet deshalb Grönemeyers ein wenig despektierlicher, aber einprägsamer Rat, wie sich Rückenleiden vorbeugen bzw. ihre Chronifizierung verhindern lässt.
Last but not least ist Rückengesundheit eine Frage der Haltung. Es gilt, einseitige Belastungen zu vermeiden. Wichtig ist der stetige Wechsel zwischen Gehen, Stehen, Sitzen – und auch beim Stehen oder Sitzen heißt es, in Bewegung zu bleiben, den Körperschwerpunkt regelmäßig zu verlagern. Die »lebensart«-Faustregel lautet daher: besser Hummeln im Hintern haben als steif sein wie ein Stock.
Was dem Rücken guttut
- Beim Bücken und Heben in die Hocke gehen, um einen Rundrücken zu vermeiden, denn dieser malträtiert die Bandscheiben.
- Spülbecken, Bügelbrett, Werkbank etc. sollten in einer Höhe angebracht werden, die Hausarbeit mit geradem Rücken ermöglicht.
- Im Sitzen, z.B. vor dem Computer, Kontakt mit der Stuhllehne wahren und so den Oberkörper aufrecht halten. Dabei aber nicht erstarren, sondern öfter mal die Position wechseln.
Weitere nützliche Infos unter www.patientenleitlinien.de/Rueckenschmerz/rueckenschmerzen.html