Projekt »Männergesundheit«

Um die Gesundheit von Männern steht es nicht zum Besten. Ärzte fordern deshalb ein Umdenken, das die ganze Gesellschaft erfassen soll: Erst wenn Männer, die kränkeln, nicht mehr als »Schwächlinge« gelten, haben sie freie Bahn, sich endlich mehr um ihr körperliches und seelisches Wohlbefinden zu kümmern.

Von Dr. Markus Weber

Männer nehmen für sich in Anspruch, ganze Kerle zu sein. Viele muten sich dabei mehr zu, als Körper und Seele verkraften können. Um die Gesundheit des sogenannten starken Geschlechts ist es nicht zum Besten bestellt: Männer sind z.B. häufiger herzkrank und sterben früher als Frauen. Nicht ganz unschuldig daran ist unsere Leistungsgesellschaft mit ihren überholten Geschlechterkonzepten: Krank zu sein gilt als Schwachpunkt, mithin als »unmännlich«. Auch in der Medizin wird bislang nicht genug auf männliche Befindlichkeiten geachtet, beklagen Experten und rufen nach »Männerärzten«, damit sich die Versorgung verbessert – und damit möglichst schon beim jungen Mann Gesundheitsvorsorge betrieben wird.

Biologisch betrachtet steht die Chance auf ein langes Leben beim männlichen Geschlecht nämlich fast so gut wie beim weiblichen: Eine von der Universität Rostock an bayerischen Klöstern durchgeführte Studie ergab, dass die Lebenserwartung von Mönchen lediglich ein Jahr geringer ist als die von Nonnen. Mit anderen Worten: Vergleichbare Lebensstile ebnen mutmaßlich ungleiche genetische Ausstattungen von Männern und Frauen weitgehend ein.

Testosteronmangel macht krank

Den biologischen Unterschied bestehen lassen u.a. die Geschlechtshormone, bei Männern insbesondere das in den Hoden gebildete Testosteron. Ab dem 50. Lebensjahr fährt der Körper altersbedingt die Produktion des Hormons zurück. Bei etwa jedem Vierten stellen sich daraufhin Wechseljahrsbeschwerden ein. Weitere Symptome eines sinkenden Testosteronspiegels sind Zunahme des Bauchfetts, Schwinden der Muskelmasse und Abnahme der Leistungskraft, auch in sexueller Hinsicht. Blutdruck, Blutfettwerte und Blutzuckerspiegel steigen an – eine gesundheitliche Störung, die Ärzte als metabolisches Syndrom bezeichnen. Unbehandelt verkalken die Arterien; es kommt zu Durchblutungsstörungen. Bemerkbar machen sie sich oft zuerst als Erektionsschwäche. Schon bei den 40- bis 50-Jährigen klagt Umfragen zufolge jeder Zehnte über mangelndes Stehvermögen beim Sex.

»Potenz durch Fitness«

Ein Schuss vor den Bug, der ernst genommen werden sollte: Gefäßverengungen im Genitalbereich sind kein isoliertes Problem, sondern ein Fingerzeig dafür, dass auch andernorts im Organismus die Durchblutung herabgesetzt ist – und das bedeutet früher oder später Gefahr fürs Herz. »Studien haben gezeigt, dass ungefähr sechs Jahre nach den ersten Erektionsproblemen ein Herzinfarkt oder Schlaganfall auftreten kann«, sagt Prof. Dr. Frank Sommer, Inhaber des bundesweit ersten Lehrstuhls für Männergesundheit am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Die gute Nachricht: Erektionsstörungen lassen sich rückgängig machen. Sommer rät Männern, ihre Energiezufuhr auf 1.700 Kalorien zu drosseln und drei Stunden die Woche Sport zu treiben: »Das Motto lautet: Potenz durch Fitness – das hebt übrigens häufig auch einen zu niedrigen Testosteronspiegel.«

Auch die Vergrößerung der Prostata bei Männern »in den besten Jahren« hat einen hormonellen Hintergrund: Der Organismus wandelt Testosteron teilweise in Dihydrotestosteron um. Dieses am stärksten wirksame männliche Geschlechtshormon regt die Prostata zum Wachsen an, sodass die Drüse stellenweise die Harnröhre abdrückt. Typische Beschwerden sind ständiger Harndrang und das Gefühl, die Blase entleere sich nicht richtig. Jenseits der 50 klagt jeder zweite Mann über entsprechende Probleme beim Wasserlassen. Helfen Medikamente nicht, ergeben viele sich in ihr Schicksal und scheuen vor einer Operation zwecks Verkleinerung der Prostata zurück: Der Blasenschließmuskel kann verletzt werden und Harninkontinenz die Folge sein. Außerdem fürchten sexuell aktive Männer eine Schwächung der Potenz. Risiken, die ein neues, schonenderes Operationsverfahren minimiert, das mithilfe von Implantaten das auf die Harnröhre drückende Prostatagewebe zur Seite drängt und so den Harnfluss verbessert. Köln zählt zu den noch wenigen Städten in Deutschland, in denen versierte Urologen die Methode mit Namen »UroLift« bereits anbieten.

Aggressiv statt betrübt

So belastend gesundheitliche Probleme seien, die die Geschlechtsorgane betreffen, dürfe Männergesundheit nicht auf körperliche Aspekte reduziert und die Seele außer Acht gelassen werden, mahnen Experten. Insbesondere Depressionen werden bei Männern weitaus seltener erkannt und behandelt als bei Frauen. Einer der Hauptgründe: Depressive Männer neigen zu Aggressionen, setzen sich Risiken aus und greifen zu Suchtmitteln. Symptome, die die klassischen Depressionsmerkmale wie Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit überdecken und Ärzten die Diagnose erschweren – und von der Umwelt nicht als Hilferufe kranker Seelen begriffen, sondern als Charakterschwäche verurteilt werden. Was viele nicht wissen: Eine Depression erhöht bei Männern mehr als bei Frauen das Risiko für Herzkrankheiten, Schlaganfall und Diabetes Typ 2. Der Männergesundheitsbericht wertet das seelische Leiden daher unbehandelt als für den Organismus ähnlich schädlich wie Rauchen oder Übergewicht.

Trotzdem verhält sich nur eine Minderheit der Männer gesundheitsbewusst und macht von den Angeboten etwa zur Krebsvorsorge Gebrauch. Der Männergesundheitsbericht fordert deshalb mehr medizinische Angebote, die wirklich zu Männern passen und über positiv besetzte Attribute wie Fitness, Stressresistenz und Attraktivität aktivieren. Zugleich gelte es, männliche Stärke neu zu definieren. Ein Anliegen, das auch Professor Sommer vertritt: »Man muss den Männern klar machen, dass der Gang zur Vorsorgeuntersuchung kein Zeichen von Schwäche ist, sondern auf Intelligenz und Männlichkeit schließen lässt.« Auch Mut und Wille zu zielgerichtetem Handeln sind in diesem Zusammenhang Ressourcen, die als typisch männlich geschätzt werden. Dr. Matthias Stiehler vom Gesundheitsamt Dresden, Mitherausgeber des Männergesundheitsberichts, rät Männern überdies, perfektionistische Ansprüche an sich selbst abzustreifen und sich stärker auf die eigenen Bedürfnisse zu besinnen. Wie auch immer es um die gesellschaftlichen Konventionen bestellt sein mag: Was die Gesundheit fördert, kann auf keinen Fall »unmännlich« sein!

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